Voll der Saftladen
Der Verzicht auf Alkohol zum Menü wurde den Gästen lange schwer gemacht. Spannende und geschmacklich hochwertige Alternativen zum Wein waren rar. Alles Schnee von gestern. Ob „Jine“ oder Trinkessig: So aufregend waren alkoholfreie Getränkebegleitungen noch nie.

Der dem Alkohol abgeneigte Gast hatte früher nicht gerade die Qual der Wahl, wenn es um den passenden Schluck zum Menü ging. Ein antialkoholischer Aperitif und pilzfermentierter Tee mit Geschmack fand sich zwar auf so gut wie jeder Karte, damit war aber zumeist auch schon Schluss. Am Ende des Abends hatte man einen Shirley Temple runtergekippt, einen Liter Wasser getrunken und drei Sorten Kombucha gekostet. Die mit dem Verzicht einhergehenden Theorien über mögliche Motive für ebendiesen gab’s gratis dazu. Schwanger? Detox? Dass es auch Menschen geben soll, die gerne gut essen, denen Alkohol aber einfach nicht schmeckt, hatten da die wenigsten am Radar.
Jetzt ist gegen Kombucha als passenden Gluck zum einen oder anderen Gang natürlich nichts einzuwenden. Dass sich Menübegleitung ohne Wein aber vom Ausnahmefall endlich zu einer für Produzenten, Sommeliers, Küchenchefs und Gäste spannenden neuen Realität aufgeschwungen hat, ist als durchaus erfreulicher Glücksfall zu werten.
Hochwertig trockengelegt
Wie so oft waren es skandinavische Spitzenköche wie René Redzepi, die – wohl auch mangels regionalen Weinbaus – schon vor vielen Jahren komplett alkoholfreie Menübegleitungen, zumeist bestehend aus frischen Obst- und Gemüsesäften, anboten. Mit einiger Zeitverzögerung sprangen auch deutsche und österreichische Spitzengastronomen und Sommeliers langsam auf den spritfreien Zug auf. Zu den ersten, die hierzulande über gespritzten Apfelsaft & Co. erhaben waren, zählten das „Wiener Steirereck“, der „Taubenkobel“ in Schützen und das „Gasthaus Floh“ in Langenlebarn. Produzentenseitig die Gourmetsaftwelle losgetreten hatte damals der Südtiroler Thomas Kohl, der mit seinen naturtrüben Grand-Cru-Bergapfelsäften, abgefüllt in eleganten Weinflaschen und serviert in Weingläsern, einen eindrucksvollen Siegeszug auf anspruchsvollen Getränkekarten hinlegte. Mittlerweile wächst der Markt für alkoholfreie Alternativen zum Menü ebenso rasant wie die Nachfrage danach. Kaum eine Bar, die nicht mindestens eine Handvoll Virgin Cocktails anbietet, die gar nicht erst versuchen, die alkoholhältigen Brüder und Schwestern zu imitieren, sondern mit allerlei schmackhaften Fillern wie der Gurkensaft-Limo Cucumis oder der heimischen ENZO Alpin-Limonade aus Enzianwurzeln veredelt zu hoch aromatischen Neudarstellern auf der Karte auflaufen. Es gibt alkoholfreien Campari („Crodino“) und mit „Seedlip“ sogar Null-Promille-Gin, entalkoholisierten, richtig fein herben Sekt („Träublein“) und alkoholfreien Wein.
Im Saftrausch
Die aktuell populärste Spielwiese der gehobenen Küche und ihrer Sommeliers ist aber die der selbst gemachten Gemüsesäfte und Teeauszüge, die Gerichte harmonisch begleiten oder Kontraste setzen und mitunter als eigene, flüssige Gerichte bezeichnet werden können. Dass derlei Promillefreies nicht für Verzicht, sondern für kulinarische Vielfalt steht, beweist kaum ein anderer Spitzenkoch aktuell eindrucksvoller als der Österreicher Sebastian Frank. In seinem Berliner Restaurant „Horváth“ nimmt er sich mit Sommelier Jakob Petrisch gemeinsam des Themas ebenso mutig wie umfassend an. Neun Kreationen aus Kräuter- und Teeauszügen, hausgemachten Gemüsesäften, Ölen und Reduktionen bietet Frank seinen Gästen momentan als Alternative zum Wein. Molke mit Kren, Honig und Leindotteröl etwa, Kürbiswasser und geröstete Selleriesaat, Trinkessig von der Zirbe oder Gulasch-Birnen-Auszug. Auf Aromen aus dem Menü zurückzugreifen, macht natürlich Sinn, und überhaupt spielt das richtige Foodpairing bei derlei ambitionierten Mixen eine große Rolle. Für Sommeliers führt also kein Weg daran vorbei, sich intensiv mit der Materie zu beschäftigen und vor allem nicht darauf zu vergessen, dass viele Säfte sehr viel sättigender sind als Wein. Auch die Wahl des richtigen Glases gilt als wesentlich. Faustregel gibt es dafür keine, aber grundsätzlich ist einem Weinglas oder Tumbler beim Ausschank von Edelsäften der Vorzug vor klassischen Longdrinkgläsern zu geben.
Jine statt Wein
Sebastian Frank hat die Saftbegleitung übrigens ursprünglich eingeführt, weil seine Frau schwanger war. Das war auch für den deutschen Sternekoch Nils Henkel, der sich schon immer bestens auf die gemüsebetonte Haute Cuisine versteht, der Grund, sich des Themas anzunehmen. Zu seiner asiatischen Ente reicht er etwa roten Traubensaft mit rotem Shisosaft, Ingwer und Bergpfeffer, und wie Frank experimentiert auch Henkel mit kalt extrahierten Teemischungen. Der deutsche Sternekoch Tim Raue hingegen machte aus dem Umstand, dass sein neues Restaurant „Dragonfly“ sich im quasi rauschfreien Dubai befindet, eine Tugend. Alkohol wird dort keiner ausgeschenkt, dafür serviert Raue „Jines“, einen Wortmix aus Juice und Vine. Die Säfte stammen vom Hersteller van Nahmen und werden mit hausgemachten Essenzen, Gewürzen und Kräutern vermengt in Weinflaschen gefüllt, verkorkt und glasweise zu Raues Gerichten gereicht. So wird die Peking-Ente von Pflaumensaft, Tamarinde und Madagaskarpfeffer flankiert und zur Langustine lässt Raue einen Jine aus Aprikosen- und Passionsfruchtsaft mit Ginger Ale aufwarten.
Wer da noch dem Glas Chardonnay nachtrauert, ist selbst schuld.
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